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Be- und Verurteilung im Umgang mit Pferden

Der Umgang mit Pferden ist für viele von uns eine wahre Leidenschaft, die uns verbindet und oft über Jahre hinweg begleitet - manche von uns sogar ein Leben lang. Doch es ist eine besorgniserregende Entwicklung in der Reitgemeinschaft zu beobachten: die ständige, teils unnötige und oft unangemessene Kritik an anderen, besonders an Amateurreitern. Schnell wird aus einer Mücke ein Elefant gemacht, und der Blick auf das große Ganze geht verloren. Dabei sollten wir uns bewusst machen, dass wir als Reiter eine Verantwortung gegenüber unseren Tieren tragen – und diese Verantwortung bedeutet nicht nur, dass wir uns kontinuierlich weiterentwickeln, sondern auch, dass wir in unserem Hobby gegenseitig mehr Rücksicht und Verständnis zeigen.


Es ist kein Geheimnis, dass Fehler im Reiten zu einem natürlichen Teil des Lernprozesses gehören. Jeder, der sich mit Pferden beschäftigt, weiß, dass es immer wieder Momente gibt, in denen man nicht perfekt sitzt oder die Hilfengebung nicht ganz stimmig ist. Gerade wir Amateurreiter sind nicht in der Lage, die Perfektion eines Profis zu erreichen – und das ist auch nicht das Ziel. Doch immer häufiger wird dieser „kleine“ Fehler zu einem Grund, öffentlich zu kritisieren. Ein zu unruhiges Bein, eine nicht ganz stimmige Haltung oder ein Fehler in der Hilfengebung – all das wird sofort zur Zielscheibe. Aber was passiert eigentlich, wenn wir uns selbst, aber vor allem auch anderen, ständig die Freude an diesem wunderbaren Hobby nehmen, nur weil wir aus jeder Kleinigkeit einen riesigen Vorwurf machen?


Wir sollten uns fragen, ob wir uns selbst und anderen das Hobby nicht eher schwer machen, wenn wir ständig die Fehler des anderen aufgreifen. Wir sind alle auf einem eigenen Lernweg, und niemand hat die perfekte Reitweise. Wenn wir in einer Welt leben, in der wir uns ständig für unsere „Unvollkommenheiten“ rechtfertigen müssen, verlieren wir den eigentlichen Spaß und die Freude an dem, was wir tun. Pferde sind keine Maschinen, die sofort auf den Punkt reagieren müssen. Sie sind Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen, und sie sollten auch in der Ausbildung die Zeit und Geduld bekommen, die sie verdienen.


Aber natürlich gibt es auch die andere Seite des Themas, die uns als Reiter immer wieder zum Nachdenken anregen sollte: Pferde haben sich nie freiwillig dazu entschieden, unsere Reitpferde zu sein. Sie sind keine „Sportgeräte“, wie wir Reiter ja auch nicht müde werden, zu betonen. Das bedeutet, dass wir uns immer wieder fragen sollten, ob das, was wir tun, tatsächlich im besten Interesse des Pferdes ist. Diese ethische Frage ist wichtig und gehört zu jeder Reitpraxis. Wir sind es unseren Tieren schuldig, ihnen zu zeigen, dass wir unser Bestes geben – und das sollte nicht nur im Hinblick auf die Technik, sondern auch auf die Achtsamkeit im Umgang mit dem Pferd geschehen.


Wenn wir also von „unserem Besten“ sprechen, dann müssen wir auch anerkennen, dass es nicht immer das perfekte Ergebnis ist, das zählt. Es geht darum, dass wir uns bemühen und stetig daran arbeiten, besser zu werden – mit all unseren Fehlern und Unvollkommenheiten. Wenn unser „Bestes“ also nicht immer perfekt ist, aber dem Pferd nicht schadet und keine unangemessenen Belastungen verursacht, dann ist das vollkommen in Ordnung. Reiten ist keine Exzellenzprüfung, sondern ein Prozess, der Geduld, Engagement und Respekt für das Pferd erfordert. Es gibt dabei einen wichtigen Punkt, den wir nie aus den Augen verlieren sollten: Wenn uns Fehler auffallen, die das Pferd in seiner Haltung oder seinem Wohlbefinden beeinträchtigen könnten, ist es unsere Verantwortung, das zu hinterfragen – und zwar auf eine Weise, die respektvoll und konstruktiv ist.


Dabei ist es völlig legitim, Missstände, die das Wohl von Pferden gefährden, anzusprechen. Wir können und sollten die großen, öffentlich sichtbaren Praktiken und Methoden hinterfragen, wenn sie das Tier schädigen oder ihm Schmerzen bereiten. Hier dürfen wir uns nicht zurückhalten, egal, ob wir selbst einen Grand Prix reiten oder nicht. Aber und das ist ein entscheidender Punkt: Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen ernsthaften, tierschutzrelevanten Fehlern und den kleineren Unzulänglichkeiten, die in jeder Reitstunde auftreten können – und die nicht automatisch zu einem Schaden führen. Ein zu weit nach vorne gebeugter Oberkörper zum Beispiel kann unangenehm für das Pferd sein und es dazu bewegen, den Fehler des Reiters im eigenen Körper auszugleichen, ja – aber ist das wirklich vergleichbar mit Praktiken, die das Tier aktiv und ernsthaft schädigen? Hier müssen wir realistisch bleiben.


Es wird deutlich, dass die Frage der Verantwortung im Reiten oft sehr komplex ist. Wenn wir also jemanden öffentlich dafür kritisieren, dass er mit einer Unregelmäßigkeit und Fehlern reitet, müssen wir uns auch hinterfragen, ob wir nicht den Maßstab ansetzen, dass nur der „perfekte Reiter“ auf einem Pferd sitzen darf. Denn wenn wir uns darauf einigen, dass niemand in der Lage ist, dauerhaft perfekt zu reiten, dann dürfen wir uns selbst und anderen auch Fehler zugestehen – solange diese dem Pferd nicht schaden. Und hier zeigt sich das wahre Dilemma: Eine Welt, in der jeder sofort und unreflektiert kritisiert wird, ist keine Welt, die die Freude am Reiten fördert.


Wer also der Meinung ist, dass Perfektion im Reiten der einzige Weg ist, sollte sich fragen, ob er selbst immer und in jeder Situation perfekt reitet – und ob er wirklich in der Position ist, diese Maßstäbe auf andere anzuwenden. Die Wahrheit ist, dass niemand perfekt ist. Jeder von uns kann etwas tun, um sich zu verbessern, aber niemand sollte sich dem Druck ausgesetzt fühlen, ständig perfekt sein zu müssen. Letztlich geht es darum, dass wir uns alle gemeinsam für eine Reitgemeinschaft einsetzen, die nicht von ständiger Kritik geprägt ist, sondern von Respekt und gegenseitigem Verständnis. Wenn wir mehr Empathie füreinander aufbringen, werden wir alle – und vor allem unsere Pferde – mehr davon haben. Denn Reiten ist nicht der Weg zur Perfektion, sondern der Weg zu einer besseren Verbindung und einem erfüllteren Leben mit unseren Pferden. Und das sollte immer unser größtes Ziel bleiben.

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Aus seinen Ursprüngen als Blog hervorgegangen, hat sich Harriet Jensen zu einem führenden Reitsportmagazin entwickelt. Unsere Publikation widmet sich der Bereicherung des Reitsport-Lifestyles mit einem Schwerpunkt auf das Wohlergehen der Pferde und artgerechter Haltung und Pflege. Wir bieten eine Plattform, auf der Luxus und Praktikabilität für Pferd und Reiter nahtlos zusammenkommen. Erhalten Sie wertvolle Einblicke von angesehenen Pferdemenschen durch Artikel, die darauf ausgerichtet sind, Ihre Reitsportreise zu bereichern.

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